„Ich bin halt $Geschlecht, wir sind halt so gemacht“
„Das ist in der Natur auch so, guck dir doch mal $Tier an, da ist das $Geschlecht auch so drauf, dass $stereotypes_kaum_realistisches_Verhalten“, und indes ist das als Beispiel herangeführte Tier meistens ein langweiliger Löwe oder so ein blöder Aff, die zwar beide zweifellos ÜBERHAUPT ERST als Vergleich von Sozialverhalten herhalten können weil a) Säugetiere und b) in komplexen Sozialverbänden lebend (über das blöde Geschwätz von Alphawölfen könnt ich mich indes an anderer Stelle auch gern mal aufregen), aber die man halt auch nur aus der grottenmies übersetzten und noch grottenmieser synchronisierten National Geographic-Doku auf ntv kennt und über die mal was zu lesen schon wieder viel zu viel Anstrengung wär und die als Verhaltensmodelle eigentlich schon längst erschöpft sind bla bla bla you get my drift.
In alldem wird aber eine Frage erstmal komplett vergessen, wahrscheinlich weil man sich so damit eingefunden hat, dass man überhaupt nicht versteht, dass man sie stellen kann: Was bedeutet Geschlecht eigentlich überhaupt biologisch?
Und das ist eine eigentlich sehr sehr einfach zu beantwortende, aber eben keine triviale und schon gar nicht rhetorische Frage. Denn vor langer, langer Zeit gab es ja gar keine sexuelle Fortpflanzung. Heute noch paaren sich Bakterien nicht. Zumindest nicht zur Fortpflanzung. Und da kann man ansetzen und fragen: Warum eigentlich überhaupt Paarung? Warum vereinigen Lebewesen überhaupt ihre Gene? Warum tun es Bakterien, aber induzieren danach nicht notwendig eine Teilung?
Dazu muss man, bevor man die Mythen um Sexualität in der riesigen Ökosphäre aufklärt, erstmal einen anderen Mythos aus der Welt schaffen, nämlich den, dass das Individuum irgendwelche Relevanz für die… naja, was eigentlich?… hat. Klar, Leben hat keinen Zweck. Es ist einfach. Es ist sein eigener Zweck und dabei nichtmal ein Zustand, sondern ein Prozess. Der Prozess ist aufs Wesentliche zurückgestutzt das Tragen und Übertragen von Information. Die Information wird kopiert und dann von einer etwas größeren Zahl von Datenträgern gespeichert und verarbeitet. Das nennt man Fortpflanzung. Und das ist ja auch gar keine allzu überraschende, rätselhafte Sache: Alle Moleküle müssen zerfallen. Wenn ein Molekül sich aus umliegenden Rohstoffen selbst replizieren kann, ist es wahrscheinlicher, dass die Information dieser Struktur nicht verloren geht. Und das ist im ganz großen Stil das, was die Bakterien machen, wenn sie sich teilen, das ist das, was eukaryotische Zellen während der Mitose machen, das ist, was mehrzellige Wesen in ihren seltsamen Prozeduren von Eibildung, Vereinigung und Embryogenese machen. Es ist ja nichtmal so, dass irgendeine Instanz beschließt, dass Information nicht verloren gehen darf (woher sollte diese Instanz auch irgendwas beschließen können wenn das Konzept von Information noch gar nicht existiert – natürlich auch falsch, denn alle physikalischen Prozesse sind Informationsträger, aber fürs bessere Verständnis lass ichs so), nein, vielmehr ist Leben tautologisch: Es existiert, weil ein Ding mit der Fähigkeit zum Selbsterhalt eine höhere Existenzchance zu jedem beliebigen Zeitpunkt hat als ein Ding ohne die Fähigkeit zum Selbsterhalt.
Nun könnte man sich ja vorstellen, dass eine Population von Lebewesen auf einmal einer widrigen Umwelt begegnet, die sie fast komplett aussterben lässt. Und das passiert ja auch. Und dann gibt es in einer Population ein paar Individuen, die eine ganz seltsame Fähigkeit besitzen: Sie können ihr eigenes Genmaterial auf andere Individuen der Population übertragen. Oder sie können das Genmaterial anderer Individuen bei sich selbst aufnehmen. Und irgendwelche Individuen in dieser Population produzieren Enzyme, die sie gegen diese neuen widrigen Umwelteinflüsse schützen. Zufallsmutation. Passiert ständig, und manchmal ist es eine, die nicht einfach den Code unterbricht.* Diese Individuen überleben natürlich die präsente Katastrophe und pflanzen sich danach weiter fort. Nun hat ein Individuum, das von andern Individuen eben solche immunisierenden Gene aufnehmen kann, eine höhere Überlebenschance, und so etablierte sich die Nützlichkeit von Gentransfer. Konjugation ist aber bei Bakterien immer noch komplett von Fortpflanzung gelöst, und deshalb…
…kommt jetzt massiver Schritt zu sexuellen Lebewesen. Auch einige einzellige Eukaryoten trennen Gentransfer von Fortpflanzung, aber das ist hier irrelevant, das hab ich ja weiter oben schon beschrieben. Nun weiß wirklich niemand welchen Vorteil es hat, Gentransfer und Fortpflanzung in den selben Prozess zu kombinieren, und so in Reinform gibt es auch das nur im Tierreich und selbst da nicht überall. Und JETZT, endlich, kann ich auch endlich dazu kommen, was Sexualität eigentlich ist. Sexualität kommt nur in solchen Lebewesen vor, die mindestens diploid sind, also mindestens zwei verschiedene Chromosomensätze besitzen. Sexualität nennt man den Prozess, der diese Chromosomensätze rekombiniert. Das ist eigentlich auch schon alles.
Ich hoffe ich konnte die Fragen dazu klären…
…MOOOOOMENT! Ich hab ja eigentlich erstmal nur in einem Satz ne ganz ganz grundlegende, reduzierte Definition geliefert. Ich hab aber noch gar nicht die wichtige Frage beantwortet: Was machen sexuelle Wesen eigentlich? Ja, ficken, is klar. Aber WAS IST FICKEN UND WAS PASSIERT DABEI.
Also. Ich hab ja schon erwähnt, dass sexuelle Lebewesen allesamt mindestens diploid sind bzw geradzahlige Chromosomensätze besitzen. Das hat einen einfachen Grund. Es gibt nämlich zwei verschiedene Fortpflanzungsmodi, die zu zwei „Ausdrucksformen“ dieser Wesen führen: Die erste sind diploide oder geradzahlig polyploide Soma-, also Körperzellen. Das ist das „Grundstadium“. Diese Zelle kann weitere diploide Zellen bilden durch Mitose. Ohne auf Details einzugehen: Mitose ist eine Zellteilung, bei der alle Chromosomensätze einer Zelle direkt kopiert und an die Tochterzellen unverändert weitergegeben werden. Soll heißen: Die Zelle bildet einfach weitere Somazellen und könnte das auch bis in alle Ewigkeit so weiter tun, ABER… sie kann nämlich auch anders. Es gibt nämlich auch einen Teilungsprozess, bei dem die Chromosomensätze voneinander getrennt werden, sodass am Ende jede Zelle nur einen davon trägt. Diese Teilung heißt Meiose und das dabei entstehende Zellstadium wird als Gamet bezeichnet, der einfache Chromosomensatz als haploid. Und was der Gamet macht, ist kurz zusammengefasst: Er sucht sich einen anderen Gameten, um sich mit ihm zu vereinigen, die haploiden Chromosomen zu diploiden zu kombinieren und sodann als neue Somazelle weiterzuleben. Die frisch vereinten Gameten nennt man dann Zygote, aber das ist eigentlich nicht ganz so wichtig. Wichtiger ist: Was macht Gameten aus?
Die Gameten gibt es nun wirklich in den verschiedensten Formen und Größen. Die haben keine festen Eigenschaften und nichtmal notwendig Geschlechter. Isogamie nennt man eingeschlechtliche sexuelle Fortpflanzung, bedeutet, dass beide Gameten gleich gestaltet sind. So weit so unkontrovers. UND JETZT ENDLICH kommt der Punkt, auf den alle, die jetzt noch mitlesen, die ganze Zeit gewartet haben: Geschlechter. Was ist ein Geschlecht.
Auch das eigentlich no big deal at all. Geschlecht bedeutet einfach nur unterschiedlich große Gameten. Das ist alles. Wirklich. Mehr hängt da nicht dran. Es gibt nen größeren Gameten, den Makrogameten. Der ist relativ passiv, denn er verbraucht wenig Energie für sich selbst und lagert sie für die Reproduktion chemisch ein, bewegt sich also auch kaum. Den nennt man Ei (ja, auch bei Pflanzen, kein Witz) und seinen Träger bei mehrzelligen Wesen ein Weibchen. Dann gibt es einen kleineren, beweglichen Gameten, der den Makrogameten aufsucht und dabei seine gesamte Energie umsetzt. Den nennt man Spermium und seinen Träger bei mehrzelligen Wesen ein Männchen. Bei Pflanzen ist das alles ein bisschen komplizierter, weil alle Pflanzen grundsätzlich Generationswechsel vollführen (kurz gesagt, die große diploide Pflanze produziert eine winzige haploide Pflanze an den Geschlechtsständen und die winzige haploide Pflanze trägt die Gameten und dann die Zygote… kurz gesagt plantception), und dann gibt es noch verschiedene Pilze und Protisten, die mehr als zwei Geschlechter haben und dann gibt es noch quasi-geschlechtliche Reproduktion mit Sporen (diploide DNA-Träger, aus denen ein neues Nährstadium wachsen kann), und da wird das alles kompliziert, ich geh aber durchaus auch mit Absicht drauf ein. Bei Tieren ist das hingegen alles ziemlich einfach: Die produzieren Eier und die produzieren Spermien und dann schwimmen die Spermien zu den Eiern und wenn sich die Zygote zum ersten Mal teilt nennt mans Embryo. Und natürlich findet man Parallelen zum Verhalten der jeweiligen Gameten bei den Somatieren auch. Ist ja am Ende auch wesentlich energiesparender für das Weibchen, das den Embryo ernähren muss (moooooooment, auch das stimmt nicht: manche Meerestiere produzieren nichtmal Dotter für ihre Larven, die ernähren sich von Beginn an von Plankton… und sind Plankton, aber nvmd) und wenn nicht dann doch Eier produziert, was dann eigentlich relativ viel Energie kostet. Und es stimmt ja auch, dass Geschlechtsdimorphismus tendenziell stärker wird bei Tieren, die viel Energie in ihren Nachwuchs investieren, i.e. auch Säugetiere, K- und r-Strategie, durr durr durr. Nur: Das sind Trends. Das ist keine ewiggültige Wahrheit, kein alles bestimmendes Prinzip. Und so findet man auch Spezies mit riesigen mobilen (oder sessilen… ganz besonders häufig sessilen) Weibchen, die alle inneren Organe und den üblichen Körperbauplan aufweisen, die man von der jeweiligen Gruppe erwartet, in deren Inneren quasi-parasitische bis auf ihre Hoden und vielleicht ein winziges Restgehirn reduzierte Zwergmännchen leben. Auch hier könnt man jetzt nen blöden Kalauer einbauen, aber ich schreib das hier ja gerade deshalb, damit diese blöden Kalauer in Zukunft auf der Kalauerebene bleiben, eben damit man halt nimmer auf die Idee kommt, das auch noch ernst zu nehmen. Herrje, nichtmal das mit den Geschlechtschromosomen ist überall so. Säugetiere haben das. Vögel haben das (und zwar genau umgekehrt im Vergleich zu Säugetieren, die Männchen haben ein doppeltes Geschlechtschromosom und die Weibchen zwei verschiedene), Pflanzen haben das. Und sonst? Sonst entwickelt der Embryo im Ei seine Geschlechtsorgane mal nach Temperatur, mal nach Feuchtigkeit, mal nach chemischen Bedingungen, mal nach Konkurrenz zwischen den Embryonen, es gibt so viele Möglichkeiten wie Tiere, und derer gibt es viele, und keiner hat was dagegen. Manche sind sogar Zwitter. Manche tragen beide Geschlechtsorgansets zur gleichen Zeit (und laufen Gefahr sich selbst zu befruchten), manche zu verschiedenen Lebensphasen, manche sogar zyklisch. Kann man alles machen, geht alles, gibts alles, gabs alles und gibt auch noch viel mehr und wird noch viel viel mehr geben.
Conclusio: Wenn man schon die Natur als Modell für menschliches Verhalten, sei es deskriptiv, sei es normativ, daherzieht, dann sollte man halt schon son ganz kleines bisschen wissen wovon man redet und nicht allen Ernstes so daherreden als wär bipolare Geschlechtlichkeit ein alles dominierendes Prinzip des Universums. Isses nämlich nicht. Selbst andere Säugetiere eignen sich nicht als Modell. Schimpansen und Bonobos sind Schwesterarten und zusammen die direkte Schwestergruppe von H. sapiens. Von allen Arten, die so existieren, sind diese beiden wohl am besten geeignet, menschliches Verhalten modellhaft zu beschreiben (jaok, außer Menschen, aber Gesellschaft existiert ja nicht, wenn man plumpem Biologismus nachhängt lol. Menschen sind eine Lüge, hier habt ihrs zuerst gehört), und dann hat man Schimpansen, die aus Spaß vergewaltigen und morden und ihre Jagdbeute einfach liegen lassen weil sie die Lust verlieren, und dann hat man Bonobos, die wild durch die Gegend vögeln wenn sie merken dass sie miteinander Konflikte haben und die den Rest des Tages damit verbringen, löffelnd im Geäst zu liegen und sich gegenseitig den Finger in den Arsch zu stecken. Klingt beides irgendwie scheiße, wird beides von Menschen praktiziert OHNE auf so ein blödes Affenvieh zu verweisen. Also: Kriegt euch mal wieder ein, liebe Maskus und sonstige Biotruth-Ideologen. Danke. Vor allem Kutschera, der blöde Aff sollts ja wirklich besser wissen.
*Kreationisten nehmen die Seltenheit einer weiterhin sinnvoll codierenden Mutation immer gern als Beispiel dafür, dass das mit den Mutationen und der Selektion so nicht sein kann: Survivorship Bias, kurz gesagt.